Krebs an der Wurzel bekämpfen: Axel Ullrich als Finalist für Europäischen Erfinderpreis 2017 nominiert

26. April 2017
Krebs ist weltweit eine der häufigsten Todesursachen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechnet bis 2030 mit jährlich mehr als 13 Millionen Krebstoten. Eine neue Generation von Medikamenten, die auf Gentechnik basiert, stoppt Krebs an seiner Wurzel, indem die Blutzufuhr oder das Wachstum der Tumore unterbrochen werden. Die wesentlichen Erkenntnisse dieses Ansatzes beruhen zum Großteil auf den bahnbrechenden Arbeiten des deutschen Molekularbiologen Axel Ullrich (73). Im Laufe seiner Forscherkarriere, die sich über vier Jahrzehnte erstreckt, hat der Pionier moderner Krebsmedikamente die zellulären Prozesse identifiziert, die für die Entstehung von Krebs oder anderen Krankheiten verantwortlich sind. Als führender Forscher am Max-Planck-Institut und als Experte in der kommerziellen Medikamentenentwicklung hat Ullrich wegweisende Labortechniken und eine neue Generation von Krebsmedikamenten auf den Weg gebracht.

Für diese Leistung wurde Axel Ullrich als einen von drei Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2017 in der Kategorie „Lebenswerk“ nominiert. Am 15. Juni wird die Auszeichnung im Rahmen eines Festakts in Venedig zum zwölften Mal verliehen.

„Axel Ullrich ist ein echter Pionier in der Genetik. Seine Forschung hat das wissenschaftliche Verständnis von Krankheiten wie Krebs nachhaltig verändert und mit einer neuen Generation von Behandlungsmöglichkeiten die Ergebnisse für Patienten verbessert“, sagte EPA-Präsident Benoît Battistelli bei der Bekanntgabe der Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2017. „Als Verfechter der Umsetzung von Forschungsergebnissen in gesellschaftlichen Nutzen hat Ullrich erfolgreiche Medikamente für einige der führenden Pharmakonzerne entwickelt und mit seinen Erfindungen zahlreiche Start-ups gegründet.“

Revolution in der Krebsmedikation
Gesunde Zellen teilen sich, wenn Wachstumsfaktoren an Rezeptoren auf der Zelloberfläche andocken. Dadurch wird im Zellinneren eine Signalkette aktiviert, welche die Zellteilung auslöst. Bei Krebs ist diese Kommunikation, vereinfacht gesagt, gestört: Die fehlgeleitete Zelle teilt sich unaufhaltsam und es entstehen Tumore. Ullrich untersuchte die Prozesse, mit denen Zellen im menschlichen Körper kommunizieren, die sogenannte Signaltransduktion. Dabei lokalisierte er 1985 das Onkogen HER2, das die Anzahl an Rezeptoren auf der Zelloberfläche bestimmt. Bei Brustkrebs ist das HER2-Gen für die fehlerhafte Zellkommunikation verantwortlich: Es werden zu viele Rezeptoren auf der Zelloberfläche ausgebildet, die ständig Wachstumsfaktoren binden und dadurch die unkontrollierte Zellteilung sowie das übermäßige Zellwachstum auslösen. Ullrich entwickelte einen gegen HER2 gerichteten Antikörper, der genau auf den Rezeptor passt. Dieser dockt an und blockiert den Rezeptor. Das Signal zur Zellteilung kann somit nicht mehr weitergeleitet werden – ein völlig neuer Ansatz in der Krebstherapie. Die Entwicklung zum Medikament dauerte 13 Jahre bis 1998 Herceptin auf den Markt kam. Dieses bahnbrechende Medikament war das erste zielgerichtete Medikament gegen Krebs und zugleich eine Revolution: Im Vergleich zur Chemotherapie wirkt es nur an den Krebszellen und lässt die gesunden Zellen unbeschadet. Dieses auf Genetik basierende neue Konzept von Medikamenten stoppt den Krebs direkt an seiner Wurzel.

Zielgerichtete Krebstherapie
Neue Ansätze zur Behandlung von Krebs werden auch dringend benötigt: Bis 2030 erwartet die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) bis zu 22,2 Millionen neue Krankheitsfälle pro Jahr; eine Steigerung von 75 Prozent gegenüber 2008. Das medizinische Modell der „personalisierten Medizin“ verspricht neue Behandlungsformen, indem statt Universallösungen zielgerichtete Medikamente verwendet werden, die genau auf  das genetische Profil des Patienten passen. Ullrich spielte bei der Einführung dieses neuen, zielgerichteten Ansatzes der Krebstherapie eine zentrale Rolle: Bei Frauen, deren Tumore HER2-Onkogene aufweisen, konnte durch die Behandlung mit Herceptin die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls um 50 Prozent verringert werden.

Gentests sind ein wichtiger Bestandteil der  personalisierten Medizin und immer besser verfügbar: Heute können Labore routinemäßig DNA-Tests bereits für unter 500 Euro pro Patient erstellen. Patienten, die auf bestimmte genetische Marker positiv getestet werden, profitieren nun von gezielten Therapien mit sehr großer Wirksamkeit. Behandlungen mit Ullrichs Medikamenten wie Sunitinib (zur Behandlung von Darm- und Nierenkrebs) stellen außerdem eine dringend benötigte Alternative zu Chemotherapie und Bestrahlung dar, denn sie sind schonender für die Gesundheit des Patienten.

Ein Stück Medizingeschichte im Kampf gegen Krebs
Axel Ullrich studierte Biochemie an der Universität Tübingen und promovierte im Jahr 1975 in Molekulargenetik an der Universität Heidelberg. Der damals 32-Jährige wechselte als Postdoktorand an die Universität von Kalifornien in San Francisco. Dort kam Ullrich mit den ersten molekularen Werkzeugen in der Genforschung in Kontakt und setzte schnell einen Meilenstein: Im Jahr 1977 gelang es Ullrich als erstem Wissenschaftler eine Kopie des menschlichen Insulin-Gens in Bakterien zu übertragen. Dies führte zur Markteinführung des ersten gentechnisch hergestellten Medikaments, rekombinantes Humaninsulin, im Jahr 1982. Ein weiterer Meilenstein seiner Karriere war die Entdeckung des Brustkrebs auslösenden Gens HER2, das er mit dem genetisch hergestellten Medikament Herceptin bekämpfte. In den 1990er Jahren identifizierte er außerdem die Mechanismen, mit denen Tumore ihre Blutzufuhr sicherstellen, und entwickelte das Medikament Sunitinib, das die Versorgung mit Blut unterbindet.

Menschliche DNA war immer noch ein überwiegend unerforschtes Gebiet, als Ullrich 1978 einer der ersten Mitarbeiter des Biotech-Unternehmens Genentech in San Francisco wurde. Im Jahr 1988 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde Direktor der Abteilung für Molekularbiologie am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Dort leistet er seit 30 Jahren Pionierarbeit und hat sein Leben dem Kampf gegen Krebs gewidmet. „Krebs ist ein großes Problem und muss besiegt werden“, sagte Ullrich 2011 in einem Interview.

Ulrich ist als Erfinder von weit über 100 weltweit angemeldeten und 30 europäischen Patenten aufgeführt. Er ist Autor von mehr als 570 wissenschaftlichen Publikationen und gehört mit mehr als      50 000 Zitierungen zu den zehn meistzitierten Wissenschaftlern der letzten 25 Jahre. Seine wissenschaftlichen Erfolge wurden mit zahlreichen hochangesehenen Auszeichnungen bedacht, unter anderem mit dem Robert-Koch-Preis (2001), dem Clifford Prize for Cancer Research (2005), dem Hamdan Award for Medical Research Excellence (2008) und dem Wolf-Preis in Medizin (2010). Ullrich ist einer von zwölf deutschen Wissenschaftlern, der in die Hall of Fame der deutschen Forschung aufgenommen wurde. Er schreibt seinen Forschungserfolg vor allem seinem Bauchgefühl bei wichtigen Entscheidungen zu: „Folge immer deinen Instinkten. Rationale Entscheidungen über das Leben zu treffen funktioniert nie.“

Forschungsergebnisse in lebensrettende Medikamente überführen
Axel Ullrich hat immer wieder die Notwendigkeit betont, die Lücke zwischen Labor und klinischer Praxis zu schließen. Medikamente, die auf seinen Erfindungen beruhen, führten zu einigen Blockbuster-Arzneimitteln: Herceptin zählt zu den Top-50-Medikamenten und brachte dem Patentinhaber Genentech jährlich 6,3 Mrd. EUR ein, bevor der Patentschutz 2014 auslief. Sunitinib, das von Pfizer vertrieben wird, wird bis 2018 einen jährlichen Umsatz von 1,5 Mrd. EUR erzielen. Der Weltmarkt für Krebsmedikamente belief sich 2015 auf 71,9 Mrd. EUR. Mit einer geschätzten jährlichen Wachstumsrate von 7,1 Prozent wird der Markt bis 2020 auf 103 Mrd. EUR wachsen. Ulrichs auf Genetik basierende Behandlungen verzeichnen in ihrem Segment auf dem Weltmarkt für Krebsmedikamente einen Umsatz von 72 Mrd. EUR. Der Markt für Tyrosinkinase-Inhibitoren zur Krebsbehandlung - ein Gebiet, das von Ullrich vorangetrieben wird und zu dem seine patentierten Medikamente gehören – wird bis 2019 jährlich 29 Mrd. EUR umsetzen. In seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat Ullrich mehrere erfolgreiche Start-ups gegründet, die seine Erfindungen in der Praxis anwenden und Medikamente entwickeln. Dazu gehören Sugen (erworben durch Pfizer), Axxima Pharmaceuticals (heute GPC Biotech AG), U3 Pharma (heute Daiichi Sankyo Company Limited), Kinaxo Biotechnologies GmbH (heute Teil der Evotec AG) und Blackfield AG. Außerdem unterstützt er weltweite Forschungsinitiativen wie das Singapore Oncogenome Project.

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