Neue Strategien gegen Krebs und Diabetes
(Artikel MaxPlanckForschung)

Interview mit Professor Axel Ullrich vom Max-Planck-Institut für Biochemie

14. April 2011

Von Diabetes zu Krebs und wieder zurück – Axel Ullrich vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried kehrt zu seinen Ursprüngen zurück. Hier spricht er über Erfolge, Enttäuschungen und neue Herausforderungen im Kampf gegen die beiden Volkskrankheiten.

Interview und Text: Klaus Wilhelm

Im Kern hat sich das in der Forscherwelt weitgehend akzeptierte Modell der molekularen Krebsentstehung seit 30 Jahren allenfalls in Details verändert. Demnach entstehen Tumoren aus einer gesunden Zelle, in der Gene, die das Wachstum und die Vermehrung von Zellen kontrollieren, schrittweise mutieren und entweder ausgeschaltet oder überaktiviert werden. Zum einen Tumor-Suppressorgene, zum anderen spezielle Krebsgene (Onkogene), erst wenige, dann immer mehr. Dabei schalten die Tumorzellen auch den natürlichen Selbstmordprozess von Zellen aus, die Apoptose. Gleichzeitig werden sie unempfindlich gegen die Angriffe des Immunsystems, das das Individuum schützen will.

Ullrich war einer der ersten, der ein Onkogen beschrieben hat, noch bevor das Konzept der Onkogene überhaupt existierte: Die Rezeptor-Tyrosinkinase namens HER2. Das Credo in jenen Tagen: Die Tumorzellen hängen von wenigen aus dem Ruder geratenen Genen ab. Als die Forschergemeinde nach Jahren der Skepsis die neue Theorie endlich akzeptierte, schien das Undenkbare greifbar nahe: Man müsse nur gemäß der alten Idee der „magic bullets“ von Paul Ehrlich mit passgenauen Antikörpern oder kleinen Molekülen die ermittelten molekularen Angriffspunkte hemmen  -  und das tödliche Problem könnte gelöst sein.

In eine solche zielgerichtete Therapie setzten die Wissenschaftler ihre Hoffnungen. Mit HER2 legte Axel Ullrich das Fundament für die Blockade von Onkogenen. Doch einerseits dauerte es 15 Jahre, bis endlich ein Antikörper gegen HER2 gegen eine besondere Form von Brustkrebs mit Produktnamen Herceptin  auf dem Markt war. Andererseits sind heute etliche ähnliche Medikamente in der Therapie der Patienten angekommen, aber – von Ausnahmen abgesehen – mit bescheidenem Erfolg.

Zwei dieser zielgerichteten Krebsmedikamente, Herceptin und Sutent, sind Axel Ullrich zu verdanken. Heute nimmt er kein Blatt vor den Mund.

Ullrich: Die zielgerichteten Ansätze werden allenfalls Teilerfolge im Krieg gegen Krebs bringen. Bis jetzt verlängern sie das Leben der Patienten mit den weit verbreiteten soliden Tumoren wie Brust- oder Lungenkrebs meist nur um wenige Monate. Das ist schon enttäuschend.

Das sieht die Pharmaindustrie aber ganz anders.

Ullrich: Ich weiß. Die, aber auch viele Wissenschaftler sprechen immer noch von der so genannten Abhängigkeit der Krebszelle von bestimmten Onkogenen. Dieses Bild nutzt nur Pharmavertretern, die das den Ärzten auf die Nase binden. Doch das ist natürlich totaler Unsinn. Das eine dominierende Onkogen gibt es bei Krebs nicht. Wenn wir ein Onkogen bekämpfen, hat der Tumor schon wieder ein anderes aktiviert und dadurch wieder einen Vorteil.

Krebs entsteht zwar aus einer einzigen Zelle, doch während der Weiterentwicklung dieser Zelllinie kommt es immer wieder zu neuen Mutationen. So entstehen immer diversere, immer komplexere Familien von Zellen. Zum Schluss hat man eine sehr heterogene Population, in der sich vielleicht ein sehr dominantes Onkogen in einer Linie behauptet hat, aber in den anderen Linien sind es vielleicht andere Onkogene. Und wenn man ein Onkogen in einer Zelllinie blockiert hat, kommt eben eine andere und springt dem Tumor bei. Wir haben 250 Krebszelllinien mit Fokus auf Tyrosinkinasen untersucht. Dabei hat sich gezeigt, dass die Entstehung und das Fortschreiten von Krebs irrsinnig komplex ist –  komplizierter als ich es jemals für möglich gehalten hätte.

Das klingt sehr  ernüchternd.

Ullrich: Ja, gefährlich. Wissen Sie: Ich empfinde kein Glück, wenn ich auf mein Forscherleben zurückblicke. Ich kriege so viele Preise, und es ist schön, dass meine Arbeit anerkannt wird. Doch mir ist gleichzeitig bewusst, dass ich das Problem nicht tatsächlich gelöst habe, den Feind noch nicht besiegt habe. Da bin ich ganz ehrlich. Wir sind noch lange nicht am Ziel.

Aber wohin soll der Weg führen, wenn es die zielgerichteten Therapien nicht sein können?

Ullrich: Ich glaube daran, dass es trotz dieser extremen genetischen Plastizität allen Krebszellen gemeinsame Mechanismen geben muss, sozusagen eine gemeinsame Achillesferse.

Was könnte das sein?

Ullrich (schulterzuckend): Keine Ahnung. Aber ich suche trotzdem danach. (lächelt)

Also doch wieder der naive Optimismus?

Ullrich: Nicht mehr sehr oft wie früher, aber doch immer wieder. Ich denke, dass es auf unserer Suche andere Gene und Moleküle geben wird, die eben entscheidender sind. Und von denen wir einige  vielleicht noch nicht mal kennen. Die stehen irgendwo im Atlas des Human-Genoms.

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