Rock’n’Roll-Mechanismus hilft Proteine gezielt abzubauen

Forschende des MPIB entdeckten einen Mechanismus, der Teile von Proteinen recycelt um so den gezielten Abbau unerwünschter Proteine zu ermöglichen und Probleme in der zellulären Versorgungskette zu vermeiden.

2. Mai 2023

Martinsried. Forscher*innen um Brenda Schulman, Direktorin am Max-Planck-Institut für Biochemie (MPIB), fanden mittels Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) einen neuen Mechanismus, der essentiell für den gezielten Abbau unerwünschter Proteine in Zellen ist. Der „Rock and Roll-Mechanismus“ beschreibt, wie die Cullin-Ring-Ligase (CRL) Proteinmodule, die für den Proteinabbau entscheidend sind, wiederverwendet um immer neue molekulare Maschinen zu aktivieren. Die Erkenntnisse der Studie, die sie gemeinsam mit Wissenschaftler*innen des St. Jude Children‘s Research Hospital durchführten, bietet großes Potential für mögliche neue Therapien gegen Erkrankungen wie Krebs. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Cell veröffentlicht.

Unsere Zellen sind auf sogenannte "molekulare Maschinen" angewiesen, die wie echte Maschinen die Arbeit in den Zellen verrichten. Diese molekularen Maschinen müssen immer dann bereit sein, wenn die Zellen sie für dringende Aufgaben benötigen, und immer dann abgeschaltet werden, wenn ihre Arbeit erledigt ist. Diese zellulären Maschinen werden häufig aus Teilen zusammengesetzt, die Proteinmodule genannt werden und Gruppen verschiedenster Proteine enthalten.

Eine wichtige Art molekularer Maschinen ist die so genannte Cullin-RING-Ligase, kurz CRL, die die Ansammlung zellulären „Mülls“, also beschädigter oder überflüssiger Proteine, verhindert. Die CRL heftet dabei eine Markierung namens Ubiquitin an solche unerwünschten Proteine an. Menschliche Zellen verfügen über hunderte verschiedene CRLs, die verschiedene Arten zu beseitigender Proteine markieren. Jede CRL besteht aus zwei Modulen: einem, das alle CRLs gemeinsam haben und das die Markierung mit dem Protein Ubiquitin vornimmt, und einem weiteren, das ein Spezifitätsfaktor ist, der eine bestimmte Art „Müll“ erkennt. In Zellen gibt es hunderte verschiedene Spezifitätsfaktoren, die jeweils mit einem Cullin-RING-Modul verbunden werden müssen. Wenn alles gut läuft, machen sich die Spezifitätsfaktoren dann auch nur an überflüssige, beschädigte oder giftige Proteine heran, während sie andere Proteine unberührt lassen. Genetische Mutationen in einem solchen CRL-Modul können demzufolge auch zu einer unerwünschten Anhäufung von geschädigten oder schlecht funktionierenden Proteinen führen, was widerum Krankheiten wie Krebs, Bluthochdruck und Entwicklungsstörungen zur Folge haben kann.

Vor einigen Jahren wurde bekannt, dass es in Zellen nur wenige Kopien des gemeinsamen Teils des Cullin-RING-Moduls gibt und daher nicht alle möglichen CRLs gleichzeitig gebildet werden können.  Diese Erkenntnis warf die Frage auf, wie im Falle des Auftretens eines unerwünschten Proteins das richtige CRL zur Verfügung stehen würde, um es für den Abbau zu markieren. Forschende in den Laboren von Brenda Schulman und Matthias Mann am Max-Planck-Institut für Biochemie und am St. Jude Children's Research Hospital machten sich daran, diese zentrale Fragestellung zu lösen.

Sie fanden heraus, dass das Cullin-RING-Modul, dass alle CRLs gemeinsam haben, recycelt wird und immer wieder aufs Neue mit dem entsprechenden Spezifitätsfaktor verbunden wird. In ihrer aktuellen Studie untersuchten sie daher, wie dieser Mechanismus genau abläuft. Ein Protein namens CAND1 war ein potenzieller Kandidat, der das Problem der Lieferkette lösen könnte. CAND1 nimmt das Cullin-RING-Modul aus den CRLs, deren Ziele nicht markiert werden müssen, und verbindet es mit dem richtigen Spezifitätsmodul, um Ubiquitin an die unerwünschten Proteine anzuhängen. Eine solche Wiederverwendung eines Teils einer molekularen Maschine und die Umverteilung auf andere wurde zuvor noch nie sichtbar gemacht.

Zu sehen, wie eine Maschine ihre Arbeit verrichtet, hilft immer auch dabei ihre Funktion zu verstehen. Diesen Grundsatz machten sich die Forscher*innen zunutze, indem sie die Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) als Bildgebungsmethode verwendeten. So war es ihnen möglich, einzelne molekulare Maschinen in Aktion zu sehen.  Dr. Kheewoong Baek, Postdoktorand und Ko-Erstautor der Studie, erhielt Kryo-EM-Bilder, die in ihrer Kombination einen spektakulären „Film" ergeben. Dieser Film zeigt, wie CAND1 das Cullin-RING-Modul von einem CRL abnimmt und es mit einem anderen Spezifitätsfaktor verbindet, um eine neue molekulare Maschine zu schaffen. Die Autor*innen beschreiben diesen Prozess als einen „Rock-and-Roll-Mechanismus", der widerspiegelt, wie sich die verschiedenen Proteinmodule umeinander bewegen, um CRLs zu zerlegen und immer wieder neu zu bilden. Die Ko-Autoren Daniel Scott und Lukas Henneberg zeigten, dass dieser Rock-and-Roll-Mechanismus die Bildung von CRLs nach Bedarf ermöglicht um so zu verhindern, dass sich unerwünschte Proteine in der Zelle anhäufen.

Die Ergebnisse ließen jedoch die grundlegende Frage unbeantwortet, warum Zellen überhaupt ein Problem mit der Versorgungskette haben. Also warum bilden sie nicht einfach alle möglichen molekularen CRL-Maschinen gleichzeitig?  Der Rock-and-Roll-Mechanismus stellt sicher, dass nur die CRLs zusammengebaut werden, deren „Müll“ zu diesem Zeitpunkt auch markiert werden muss.  Die entscheidende Erkenntnis ergab sich aus der Überlegung der Forschenden, dass CAND1 und NEDD8, ein weiteres Protein, das sie bereits zuvor untersucht hatten, gemeinsam den Zeitpunkt des Abbaus von CRLs regulieren könnten. Dieses zweite Protein schützt die CRLs, sodass nur bei ungeschützten CRLs das Cullin-RING-Modul durch CAND1 entfernt werden kann. Dieser Mechanismus hilft den Zellen Probleme in der Versorgungskette zu vermeiden. Er verhindert auch, dass sich unerwünschte CRL-Molekülmaschinen ansammeln.

Abgesehen von ihrer biologischen Funktion sind CRLs auch für viele Biotech- und Pharmaunternehmen von großem Interesse, da sie zum Abbau krankheitsverursachender Proteinen eingesetzt werden können. Die neuen Erkenntnisse dieser Studie geben aufgrund des gezielten Proteinabbaus Anlass zu der Hoffnung, dass CRLs für neuartige therapeutische Technologien zur Bekämpfung von Krankheiten, wie beispielsweise Krebs, eingesetzt werden könnten.

[tb]

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