3D-Einblicke in den intakten Zellkern - Max-Planck-Wissenschaftler gelingen wichtige Einblicke in die Funktionsweise der Pforten und Schleusen des Zellkerns "in Aktion"
Innerhalb einer Zelle herrscht reger Verkehr, weil das Erbgut, also die Baupläne des Lebens, und alle wichtigen Organellen und Protein-Komplexe für Stoffwechsel, Wachstum oder auch Zellteilung durch die Hülle des Zellkerns voneinander getrennt sind. Seit Jahren versuchen Wissenschaftler zu verstehen, wie die winzigen Poren in der Kernhülle aufgebaut sind und welche Aufgaben ihre einzelnen Bausteine übernehmen. In enger Kooperation sind jetzt mehrere Forschungsgruppen am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried zu völlig neuen Erkenntnissen über die Kernporen gekommen (Science Express, 28. Oktober 2004). Mit Hilfe der Kryo-Elektronentomographie, einer am Institut entwickelten speziellen Technik der Elektronenmikroskopie, ist es ihnen gelungen, zum ersten Mal verschiedene Strukturen der Kernporen von völlig intakten Zellkernen des Schleimpilzes Dictyostelium darzustellen. Damit kann man jetzt erstmalig aus der Struktur dieser "Pforten" des Zellkerns während ihrer natürlichen Arbeit auf ihre verschiedenen Funktionen schließen. Das Verständnis der Transportvorgänge durch die Kernporen ist von grundlegender medizinischer Bedeutung, denn Störungen der korrekten Vermittlung von Signalen in oder aus dem Zellkern spielen bei der Entwicklung verschiedener Krankheiten eine Rolle.
Der Zellkern beherbergt die genetische Information (DNA) aller höheren Organismen, die bei Zellteilungen völlig identisch verdoppelt werden muss. Im Zellkern erfolgt auch die Abschrift der DNA für den Aufbau von Proteinen, die "Macher" von Wachstum, Entwicklung und Stoffwechsel. Der Zellkern ist von einer Doppelmembran umgeben, die ihn von der übrigen Zelle abgrenzt. In der Kernmembran sitzen Hunderte Poren, Pforten, durch die permanent Tausende von Molekülen, wie Proteine oder RNA, transportiert werden. Auf diese Weise gelangen die Baupläne für Eiweißstoffe aus dem Zellkern zu den Proteinfabriken, den Ribosomen, während umgekehrt Signale aus dem Zellkörper im Kern zelluläre Programme, wie Wachstumsstopp, Zellteilung oder -differenzierung, anschalten. Trotz eines Durchmesser von etwa 125 Nanometer sind die Kernporen extrem selektiv - sie lassen nur bestimmte Proteine in den Zellkern hinein oder hinaus. Die Poren selbst bestehen aus etwa 30 Protein-Bausteinen.
Die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried konnten jetzt erstmals sichtbar machen, wie diese Poren im natürlichen Zustand in einer lebenden Zelle aussehen. An diesem Erfolg waren Forscher aus drei verschiedenen Abteilungen und Forschungsgruppen des Instituts beteiligt: Die dreidimensionalen Bilder der Kernporenstruktur wurden durch Mitarbeiter aus der Abteilung Molekulare Strukturbiologie unter Leitung von Prof. Wolfgang Baumeister erstellt. Sie sind Experten auf dem Gebiet der Kryo-Elektronentomographie, einer Technik, die dreidimensionale Aufnahmen von lebenden Zellen ermöglicht. Prof. Frauke Melchior, ehemalige Nachwuchsgruppenleiterin am Institut und inzwischen Biochemie-Lehrstuhlinhaberin an der Universität Göttingen, hat ihre Expertise zur Überprüfung der Aktivität der Kernporen beigesteuert. Und Dr. Günther Gerisch, Leiter einer Emeritusgruppe, brachte schließlich seine Kenntnisse über die Kultur von Dictyostelium und Isolierung intakter und funktionsfähiger Zellkerne ein. Federführend waren Martin Beck und Friedrich Förster, deren Doktorarbeiten im Rahmen der Studie durchgeführt wurden. Sie wurden unterstützt von Mary Ecke, Dr. Jürgen Plitzko und Dr. Ohad Medalia, der bereits das Zytoskelett des Schleimpilzes mittels Kryo-Elektronentomographie erfolgreich untersucht hatte (Science 2002).
Aus früheren Studien war bereits bekannt, dass eine Kernpore aus verschiedenen Strukturelementen besteht: Rund 30 Porenproteine, Nucleoporine, bilden die runden Pforten. Zum Inneren des Zellkerns bilden die Proteine einen Korb, und zum Zytoplasma Tentakel-ähnliche Ausläufer, die so genannten Filamente. Dazwischen befinden sich mehrere Ringe, die zusammen einen zentralen Transportkanal formen. Aktive Kernporen konnte man bisher entweder mit dem Lichtmikroskop und Fluoreszenzfarbstoffen auf ihre Funktion (Welche Proteine sind wann am Transport beteiligt?) oder mit dem Elektronenmikroskop ihre Struktur (Wie sehen die fixierten Kernporen unter dem Elektronenmikroskop aus?) ergründen. Mit der am Max-Planck-Institut für Biochemie entwickelten Kryo-Elektronentomographie haben die Wissenschaftler nun erstmals Studien an voll funktionsfähigen Kernporen durchgeführt, so dass man aus der Struktur Rückschlüsse auf die tatsächliche Funktionsweise der Kernporen ziehen kann.
Dazu isolierten die Max-Planck-Forscher Zellkerne aus dem Schleimpilz Dictyostelium, erfassten rund 250 verschiedene Kernporen-Komplexe aus ganz verschiedenen Winkeln und rekonstruierten daraus die dreidimensionale Struktur der Kernporen. Sehr deutlich lassen sich in den 3D-Bildern die unterschiedlichen Ringe der Kernporen, die den zentralen Transportkanal bilden, sowie die filamentösen Fortsätze auf der einen und die Korbstruktur auf der anderen Seite unterscheiden. Nach einer wissenschaftlichen Theorie wird die Struktur im zentralen Kanal (central plug or transporter) zum Teil durch Cargo-Moleküle (Partikel die gerade transportiert werden) und zum Teil durch interagierende Bestandteile des Kernporenkomplexes gebildet. Durch eine statistische Analyse der rund 250 einzelnen Poren konnten Beck und seine Kollegen zeigen, dass diese Masse im zentralen Kanal eindeutig an zwei bevorzugten Positionen lokalisiert ist. In Abhängigkeit von der Position ergaben sich zwei Hauptzustände der Kernpore mit deutlichen strukturellen Unterschieden, die von den Wissenschaftlern CF-Klasse (cytoplasmic filament class) bzw. LR-Klasse (luminal spoke ring class) genannt werden. Bei der CF-Konfiguration lässt sich die Mehrheit der Filamente gemeinsam mit dem Cargo-Molekül in einer Ebene ausmachen, d.h. das zu transportierende Molekül wird festgehalten.
Dagegen waren die einzelnen Filamente in der LR-Konfiguration nicht als eindeutige Strukturen auszumachen. Die Dichten waren variabler, ein Indiz dafür, dass sich diese Strukturen frei im Raum bewegten, also während der Bildaufnahme nicht starr an den Kernporen fixiert waren. Diese Ergebnisse stehen im Widerspruch zu bisherigen wissenschaftlichen Theorien, die den inneren Kanal der Kernporen als statisches Gebilde beschreiben. Die nun sichtbar gewordene Dynamik der Struktur im zentralen Kanal zeigt, dass es sich dabei nicht um einen statischen Proteinkomplex handelt.
Für Wolfgang Baumeister, Direktor der Abteilung Molekulare Strukturbiologie am Max-Planck-Institut für Biochemie, sind die neuen Ergebnisse ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg, die Zusammenhänge zwischen Struktur und Funktion der Kernporen endgültig aufzuklären: "Wenn wir jetzt noch Experimente mit definierten Transport-Molekülen durchführen, werden wir aus unseren Strukturdaten der Elektronentomographie ganz eindeutige Rückschlüsse auf die Funktion des Kernporen-Komplexes in der Kernmembran ziehen können und den Weg beschreiben den Cargo nimmt." Denn noch wissen die Wissenschaftler nicht, ob die Cargo-Moleküle, die sie in ihren Bildern ausgemacht haben, von den Kernporen nach innen oder nach außen transportiert wurden, als sie die Kernporen bei ihrer Arbeit beobachteten.
Originalveröffentlichung:
Martin Beck, Friedrich Förster, Mary Ecke, Jürgen M. Plitzko, Frauke Melchior, Günther Gerisch, Wolfgang Baumeister and Ohad Medalia: Nuclear Pore Complex Structure and Dynamics revealed by Cryoelectron Tomography. Science Express, 28 October 2004.
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Eva-Maria Diehl, Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried bei München
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