Prionen verursachen toxische Huntingtin Oligomere

Ein Forschungsteam am MPIB konnte die toxische Form des für Chorea Huntington relevanten Proteins Huntingtin in einem Hefe-Modellsystem identifizieren.

21. Oktober 2022

Martinsried. Forscher*innen fanden heraus, dass Prionen, also in Hefe natürlich vorkommende Proteinverklumpungen, maßgeblich an der Toxizität des krankheitsrelevanten Proteins Huntingtin beteiligt sind. Dabei stellten sie fest, dass nicht wie bisher vermutet große Verklumpungen des Huntingtins, sondern kleinere Zusammenlagerungen, sogenannte Oligomere, die eigentlich toxische Form des Proteins sind. Diese werden vermehrt durch spezielle Interaktionen mit Prionen gebildet. Die Forschenden vermuten nun ähnliche Zusammenhänge auch bei Menschen. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift Molecular Cell veröffentlicht und ist eine Leistung des Teams um Ulrich Hartl am Max-Planck-Institut für Biochemie (MPIB).

Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder Chorea Huntington zeichnen sich durch Ablagerungen verklumpter Proteine, sogenannter Aggregate, im Gehirn betroffener Patient*innen aus. Obwohl krankheitsrelevante Proteine, wie das Protein Huntingtin bei Chorea Huntington, in allen Zellen des menschlichen Gehirns vorkommen, bilden sich erste Aggregate zu Beginn des Krankheitsverlaufs meist in den immer gleichen Gehirnregionen. Welchen Einfluss unterschiedliche Zellarten dabei auf die Ausbildung der Aggregate haben können, wurde in einer aktuellen Studie untersucht. Forschende um Ulrich Hartl am MPIB haben dafür Experimente an einem Hefe-Modellsystem durchgeführt.

Künstliche Protein-Aggregation durch blaues Licht
Ähnlich dem menschlichen Gehirn hängt die Aggregatbildung von Huntingtin auch in Hefen von ihrem Zelltyp, also dem Hefestamm, ab. Während sich in einigen Hefestämmen Huntingtin-Aggregate bilden, bleibt das Protein in anderen Stämmen löslich. Warum das so ist, war bisher noch unklar. Um den Unterschied der verschiedenen Hefestämme genauer zu untersuchen, machten sich die Forschenden neue technologische Fortschritte auf dem Feld der Optogenetik zu Nutze. Sie veränderten Hefezellen biotechnologisch und bauten einen molekularen Schalter ein, der durch die Beleuchtung mit blauem Licht aktiviert wird. So konnte auch in den Hefezellen, in denen das Protein normalerweise nicht verklumpen würde, nach der Bestrahlung mit blauem Licht die Aggregatbildung von Huntingtin künstlich ausgelöst werden.

Der Vergleich zwischen den Hefezelltypen, die auch auf natürlichem Weg Aggregate ausbilden mit solchen, bei denen dies nur durch die Aktivierung mit blauem Licht möglich ist, überraschte die Forschenden. Nur bei den Zellen, die auf natürlichem Weg Huntingtin-Aggregate ausbilden, konnten auch die entsprechenden toxischen Effekte beobachtet werden. In den Zellen, in denen die Aggregate künstlich mit Licht erzeugt wurden, gab es hingegen keine toxischen Auswirkungen. Michael Gropp, Erstautor der Studie, hat dafür folgende Erklärung: Nicht die großen Aggregate selbst, sondern ihre kleineren löslichen Zwischenstufen sind die eigentlich toxische Form des Proteins. Denn nur in Hefezellen, in denen die Aggregate auf natürlichem Weg entstehen, gibt es solche Zwischenstufen. In diesen Hefestämmen entstehen große Zusammenlagerungen langsam, indem sich immer mehr Proteine an zunächst kleine Verklumpungen anlagern. Diese toxischen Zwischenstufen werden bei der durch Licht ausgelösten, künstlichen Zusammenlagerung übergangen, bei der sehr schnell besonders große Aggregate entstehen.

Die Rolle von Prionen bei der Aggregatbildung
Doch warum bildet Huntingtin in manchen Hefestämmen überhaupt Aggregate, also Proteinzusammenlagerungen, aus, in anderen, genetisch identischen Stämmen aber nicht? Weitere Experimente in Hefe und Versuche mit aufgereinigten, also im Reagenzglas angereicherten Proteinen, gaben den Forschenden tiefere Einblicke. Manche Hefestämme enthalten bereits natürlich vorhandene Proteinverklumpungen, die Prionen. Diese sind zwar für die Zelle nicht schädlich, können jedoch durch ihre spezielle Struktur auf lösliche Huntingtin-Proteine einwirken und so deren Aggregation auslösen. Die Prionen handeln also, verallgemeinert gesprochen, wie ein Kind, dass einem ungeordneten Haufen Sand beim Spielen mit seinen Förmchen bestimmte Strukturen aufzwingt. Der Nebeneffekt dieses Prozesses ist die vermehrte Entstehung toxischer Zwischenstufen, den Oligomeren. Hefestämme, die auf natürlichem Weg keine Huntingtin-Aggregate ausbilden, besitzen keine Prionen und bilden daher auch trotz künstlicher Induktion der Aggregatbildung keine toxischen Zwischenstufen.

Mögliche Parallelen bei Menschen
In den letzten Jahren sind auch bei Menschen vermehrt Proteine charakterisiert worden, die Eigenschaften aufweisen, die denen der Prionen in Hefe sehr ähnlich sind. Eine bioinformatische Analyse bereits veröffentlichter Datensätze aus dem Mausmodell und aus menschlichen Zellen ergab, dass sich besonders in Neuronen vermehrt solche Prion-ähnlichen Proteine finden. Mit zunehmendem Alter des Individuums bilden diese Proteine leicht Aggregate aus. Die Autoren der aktuellen Studie vermuten nun, dass die Verklumpungen dieser Prion-artigen Proteine die Aggregation krankheitsrelevanter Proteine in bestimmten Gehirnregionen auslösen und so zum Fortschreiten neurodegenerativer Erkrankungen beitragen können. Untersuchungen dieses Phänomens stehen noch aus.

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