Neuartiges zelluläres Logistiksystem identifiziert

Biophysiker:innen haben gezeigt, dass die sogenannte Diffusiophorese, die einen gerichteten Transport von Molekülen ermöglicht, in biologischen Systemen vorkommen kann.

6. April 2021
Damit Zellen ihre biologischen Funktionen erfüllen können, muss ihre interne Logistik reibungslos funktionieren. Dazu gehört, dass Moleküle zur richtigen Zeit an den richtigen Ort transportiert werden. Die meisten bekannten zellulären Transportmechanismen beruhen auf spezifischen Wechselwirkungen zwischen der zu transportierenden Fracht und Motormolekülen, die sich unter Energieverbrauch aktiv fortbewegen. Ein Team um Petra Schwille vom Max-Planck-Institut für Biochemie und Erwin Frey, Inhaber des Lehrstuhls für Statistische und Biologische Physik an der LMU, hat nun erstmals gezeigt, dass in der Zelle auch ein gerichteter Transport beliebiger Teilchen erfolgen kann, ohne dass molekulare Motoren beteiligt sind. Dabei können die Teilchen sogar entsprechend ihrer Größe sortiert werden, wie die Forscher im Fachmagazin Nature Physics berichten.

Konkret untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein wichtiges Modell für die biologische Musterbildung, das Min-System des Bakteriums E. coli. Dabei pendeln die Proteine MinE und MinD zwischen den beiden Enden der Zelle und erzeugen ein Muster, das die Teilung der Zelle steuert. Die Wissenschaftler stellten dieses System im Reagenzglas auf einer künstlichen Membran nach und entdeckten, dass die Min-Proteine beim Pendeln viele verschiedene Moleküle als „blinde Passagiere“ mitnehmen können – darunter auch solche, die in keinem Zusammenhang mit der Musterbildung stehen und in der Zelle natürlicherweise gar nicht vorkommen.

Sortiermaschine für DNA-Origami
Um den Transportmechanismus noch genauer zu testen, verwendeten die Forschenden in weiteren Untersuchungen DNA-Origami-Strukturen mit beliebig veränderbaren Bausteinen als Fracht. „Unsere Experimente haben gezeigt, dass der Transport von der Größe der jeweiligen Fracht abhängt und dass MinD diese Strukturen sogar nach der Größe sortieren kann“, sagt Beatrice Ramm, Postdoktorandin in Petra Schwilles Abteilung und eine der Erstautorinnen der Studie. Mithilfe theoretischer Analysen identifizierte das Team als zugrundeliegenden Mechanismus die sogenannte Diffusiophorese, die gerichtete Bewegung von Partikeln entlang eines Konzentrationsgradienten. Im Min-System bewirkt die Reibung zwischen Fracht und diffundierendem Min-Protein den Transport. Entscheidend sind dabei nicht spezifische biochemische Wechselwirkungen, wie es beim Transport durch Motorproteine der Fall ist, sondern die effektive Teilchengröße. „Teilchen, die aufgrund ihrer Größe eine stärkere Reibung verursachen, werden auch weiter transportiert – das erklärt die Sortierung nach der Größe“, sagt Andriy Goychuk von der LMU, einer der Erstautoren der Studie.

 Mit ihren Ergebnissen konnten die Wissenschaftler den rein physikalischen Transport durch Diffusiophorese erstmals in einem biologischen Musterbildungssystemen nachweisen. „Dieser Prozess ist so einfach und fundamental, dass er auch in verschiedenen anderen zellulären Prozessen vorkommen könnte und eventuell in den ersten Zellen am Ursprung des Lebens eingesetzt wurde“, sagt Frey. „Möglicherweise könnte man ihn in Zukunft aber auch verwenden, um Moleküle in sogenannten künstlichen, minimalen Zellen zu positionieren.“

Originalpublikation:
B. Ramm*, A. Goychuk*, A. Khmelinskaia, P. Blumhardt, H. Eto, K. A. Ganzinger, E. Frey & P. Schwille: A diffusiophoretic mechanism for ATP-driven transport without motor proteins, Nature Physics, April 2021
*geteilte Erstautorenschaft
DOI: https://dx.doi.org/10.1038/s41567-021-01213-3

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