Das Exosom: Ein molekularer Käfig zum Zerkleinern von RNAs
Forschungsbericht (importiert) 2011 - Max-Planck-Institut für Biochemie
Der Zerkleinerungsprozess: Die Bedeutung des RNA-Abbaus
RNAs sind überall verbreitete Makromoleküle, die als Vermittler zur Übersetzung der Geninformation in Proteine dienen. In den meisten Fällen werden eukaryotische RNA-Vorläufer im Zellkern aufgebaut, prozessiert und zum Ort ihrer Funktion im Zytosol transportiert; ist ihre Aufgabe erfüllt, erfolgt schließlich ihr Abbau. Der kontinuierliche Umsatz von RNAs ist ein genauestens regulierter Prozess, der die Menge von zellulären RNA-Transkripten mit unterschiedlichen Halbwertszeiten und Funktionen reguliert. Er ist dadurch ein Schlüsselmechanismus zur schnellen Veränderung der Proteinproduktion als Reaktion auf geänderte physiologische Bedingungen oder während der Entwicklung und Differenzierung eines Organismus. Darüber hinaus ist der RNA-Abbau ein entscheidender Schritt der zellulären Qualitätskontrolle zur Erkennung und Beseitigung schadhafter RNAs. Fehlerhafte RNAs treten recht häufig auf. Sie entstehen zum Beispiel auf Grund von Keimbahnmutationen bei genetischen Störungen oder infolge sporadisch auftretender Fehler bei der Synthese der Nukleinsäuren. Zusätzlich dient der Abbau nicht nur der vollständigen Beseitigung von RNAs, sondern hilft auch, unreife RNA während der verschiedenen Prozessierungsschritte in ihre reife Form zurechtzustutzen. Angesichts derart zahlreicher Funktionen ist es wenig überraschend, dass Störungen des RNA-Abbaus eng mit menschlichen Erkrankungen zusammenhängen.
Die Zerkleinerungsmaschine: Der Exosomkomplex
Der Exosomkomplex ist die zelluläre Maschinerie, die für den Abbau von RNAs in 3'→5'-Richtung verantwortlich ist. Das Exosom wurde Ende der 90er-Jahre in Hefezellen entdeckt, die Defekte in der Prozessierung ribosomaler RNA-Vorläufer aufwiesen. Seitdem hat sich gezeigt, dass das Exosom in allen bisher untersuchten Eukaryoten am Abbau von RNAs in 3'→5' Richtung beteiligt ist, und zwar sowohl im Zellkern als auch im Zytoplasma. Dem Exosom ähnliche Komplexe gibt es auch in Bakterien und Archaeen [1].
Der Kern des eukaryotischen Exosoms besteht aus zehn Proteinen. Erste Untersuchungen deuteten darauf hin, dass die meisten dieser Untereinheiten aktive Zentren mit Nukleasefunktionen enthalten. Dies warf die Frage auf, ob verschiedene RNA-Klassen von unterschiedlichen aktiven Zentren abgebaut werden. Wie könnten alle diese Aktivitäten so gesteuert werden, dass der Komplex nicht einfach jede beliebige RNA abbaut? Um Antworten zu finden, befassten sich die Wissenschaftler zunächst mit der Struktur und den Eigenschaften eines archaealen Exosomkomplexes. Von diesem nahm man an, dass er in Architektur und Mechanismus dem eukaryotischen Exosom stark ähnelt, jedoch eine einfachere Zusammensetzung besäße. Gefunden wurde, dass drei verschiedene Proteine die fassartige Struktur eines aus neun Untereinheiten bestehenden archaealen Exosoms bilden (Abb. 1, links). Dieses Fass hat einen ausgeprägten zentralen Kanal und birgt drei aktive Nukleasezentren in seinem Innern [2]. Diese aktiven Zentren sind hinsichtlich Struktur und Funktion identisch: Sie erkennen das 3'-Ende einer einzelsträngigen RNA und spalten fortlaufend, unter Verwendung von anorganischem Phosphat, ein Nukleotid nach dem anderen vom RNA-Strang ab [3]. RNAs, die in den zentralen Kanal dieses molekularen Käfigs gelangen, werden auf diese Weise unabhängig von ihrer Sequenz abgebaut [4].
Die neun verschiedenen Proteine des Hefe-Exosoms bilden eine ähnliche fassartige Struktur. Obwohl sie dieselben RNA-bindenden und RNase-ähnlichen Strukturelemente wie ihre archaealen Gegenstücke besitzen, fanden wir einen bemerkenswerten Unterschied in ihrer Funktion: Minimale Unterschiede in der Aminosäurezusammensetzung haben das eukaryotische Fass in einen katalytisch inaktiven Käfig verwandelt [2, 5]. Die katalytische Aktivität des Hefe-Exosoms hat ihren Sitz in einer zehnten Untereinheit, einer Ribonuklease, die RNAs unter Verwendung von Wasser statt Phosphat spaltet [5, 6]. Diese Erkenntnis war überraschend und warf eine Reihe neuer Fragen auf. Worin besteht die Funktion der katalytisch inaktiven Untereinheiten? Warum behält die Evolution eine derart komplexe Architektur aus neun Proteinen, der jegliche enzymatische Aktivität fehlt, bei? Mithilfe strukturbiologischer und biochemischer Verfahren wurde gefunden, dass die RNAs das Exoribonuklease-Zentrum des Hefe-Exosoms nur erreichen, indem sie sich durch den zentralen Kanal des Käfigs winden [7] (Abb. 1, rechts). Daher sind, auch wenn das Fass im Lauf der Evolution seine enzymatische Aktivität eingebüßt hat, die RNA-Bindestellen und der Kanalisierungsmechanismus erhalten geblieben.
Ähnlichkeiten der RNA- und Proteinabbau-Maschinerien
Gesamtarchitektur und Mechanismus des RNA-abbauenden Exosoms weisen beachtliche Ähnlichkeiten mit denen des Proteasoms auf - jener zellulären Maschinerie, die für den Abbau von Proteinen verantwortlich ist [8]. Der Proteasomkomplex bildet ebenfalls eine fassartige Struktur mit einem zentralen Kanal, den die Proteinsubstrate durchlaufen müssen, bevor sie zum aktiven Zentrum gelangen, wo sie abgebaut werden. Was könnten die Vorteile einer solchen Strategie sein, die sich, anscheinend unabhängig voneinander, für den Abbau von RNAs und Proteinen entwickelt hat? Zum einen eignet sich die Einbettung aktiver Zentren in einem molekularen Käfig gut, um diese potenziell gefährlichen molekularen Maschinen daran zu hindern, wahllos jede RNA oder jedes Protein zu zerkleinern. Außerdem erlaubt der enge Tunneleingang sowohl im Exosom als auch im Proteasom RNAs und Proteinen nur einen Zugang, wenn sie ungefaltet sind. Im Fall des Proteasoms erkennen Chaperone ungefaltete Polypeptide und schleusen sie in den proteolytischen Käfig ein. Im Fall des Exosoms agieren Helikasen als „Entfaltungsmaschinen“, die RNAs und Ribonukleoproteinkomplexe entknäulen, um sie für den Abbau vorzubereiten. Der Grund für die Parallelen zwischen dem Exosom und dem Proteasom ist daher vermutlich in den ähnlichen Regulationsmechanismen dieser Zerkleinerungsmaschinen zu finden.
Ausblick
Bei den vielen RNAs, die in der Zelle einem Abbau zugeführt werden müssen, ist derzeit unklar, wie die Aktivität des Exosoms kontrolliert und zeitlich abgestimmt wird. Und wie unterscheidet das Exosom, ob es eine RNA lediglich während der Prozessierung partiell zuschneiden oder sie vollständig in Ribonukleotide zerlegen soll? Wie werden defekte und fehlerhafte Transkripte erkannt und effizient mit dem Exosom zusammengebracht, bevor sie in potenziell schädliche Proteine übersetzt werden können? Die Suche nach Antworten auf diese Fragen stellt eine große Herausforderung dar. Sie ist aber wesentlich, um zu verstehen, wie die Information aller RNAs in einer Zelle genau ausbalanciert wird. Denn nur so kann ein Organismus entstehen, wachsen und sich fortpflanzen.