Asymmetrie dank perfekter Balance - Max-Planck-Wissenschaftler entwickelt zusammen mit US-amerikanischen Forschern mathematisches Modell zur Polarität in Zellmembranen

23. April 2007

Zellpolarität ist die Voraussetzung für viele der wichtigsten zellulären Prozesse, etwa die Sekretion von Stoffen, die Weitergabe von Signalen, lokales Wachstum und auch die Teilung von Zellen. Dafür aber müssen sich jeweils spezifische Moleküle in bestimmten Bereichen der Zellmembran ansammeln. Dr. Roland Wedlich-Söldner vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried konnte nun in Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Wissenschaftlern zeigen, wie diese sogenannte kortikale Polarität entsteht. Die Forscher kombinierten Messungen an lebenden Zellen mit einem von ihnen entwickelten mathematischen Modell, um den Einfluss der entscheidenden Mechanismen bei der asymmetrischen Verteilung von Membranproteinen zu analysieren. Die Daten zeigen unter anderem, dass die Zellen polarisierte Membranregionen mit fast perfekter Präzision einrichten können. Dieser neuartige Ansatz ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem räumlich und zeitlich quantifizierbaren Modell der Zelle. (Cell, 20. April 2007)

Die Bestandteile einer Zellmembran lassen sich in gewisser Hinsicht mit Bällen auf einer Wasseroberfläche vergleichen. In beiden Fällen ist es schwierig, die Teilchen in bestimmter Anordnung zu halten. Sie streben vielmehr eine gleichmäßige Verteilung bis hin zur kompletten Durchmischung an – sie diffundieren. Auch bei Zellmembranen lässt sich dies beobachten, weil sie einem Flüssigkeitsfilm ähneln, der seinen Bestandteilen eine seitliche Bewegung erlaubt. Doch für die normale Funktion der Zelle ist oft eine asymmetrische Verteilung der Membranproteine nötig, die dafür in lokal erhöhter Konzentration vorliegen müssen. Diese so genannte kortikale Polarität ist unter anderem Voraussetzung für lokales Zellwachstum, Zellteilung und andere essentielle Prozesse, vor allem auch in der Embryonalentwicklung von Organismen. Dafür aber müssen die für den jeweiligen Vorgang wichtigen Moleküle trotz ihres Bestrebens zu diffundieren in spezifischen Bereichen der Zellmembran akkumulieren – und dort lange genug bleiben, um ihre Funktion zu erfüllen. Dies ist möglich, wenn aktive Transportprozesse den Effekt der Diffusion soweit überlagern, dass die nötige Teilchendichte erreicht wird.

„Wir wollten wissen, welche Prinzipien der Entstehung und der Aufrechterhaltung einer asymmetrischen Molekülverteilung in der Zellmembran zugrunde liegen und deren Einfluss auch quantifizieren“, so Wedlich-Söldner. Neben der Diffusion, die einer lokal erhöhten Moleküldichte entgegenwirkt, beeinflussen in den meisten Modellorganismen und Systemen vor allem zwei zelluläre Mechanismen die Konzentration von Membranproteinen. Zum einen ist dies der aktive Transport von Teilchen entlang zellulärer Stützstrukturen, zum anderen die Endozytose, also die Aufnahme von Membranmolekülen in die Zelle mit Hilfe kleiner Membranbläschen, der Vesikel. Für ihre Untersuchung wählten die Wissenschaftler ein bereits gut charakterisiertes Modellsystem: Zellen der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae, die die aktive Form von Cdc42, dem Schlüsselprotein der Zellpolarität, produzieren. Mutationen in Cdc42 können – wenn dadurch die Polarität gestört wird – die Entstehung von Krebs begünstigen. Auch einige Aktivatoren des Proteins können als so genannte Onkogene in defektem Zustand Tumorwachstum auslösen.

Wird die Konzentration von Cdc42 oder eines anderen Moleküls lokal in der Zellmembran erhöht, ist dies eine Voraussetzung für die Entstehung einer so genannten „Kappe“ an dieser Stelle, die dann wiederum etwa bei der Zellteilung Ausgangspunkt für die Bildung einer Tochterzelle ist. „Entscheidend bei der Kappenbildung ist zum einen natürlich, dass genügend Cdc42 an der betreffenden Stelle der Zellmembran akkumuliert“, berichtet Wedlich-Söldner. „Ebenso wichtig ist aber, dass die Kappenregion mit möglichst scharfer Grenze verläuft. Wir konnten erstmals zeigen, dass dafür vor allem die Endozytose verantwortlich ist. Dabei werden aus der gesamten Zellmembran, und damit auch aus der Kappenregion Vesikel abgeschnürt, die unter anderem Cdc42 entfernen. Anders als in der Grenzregion aber wird im Zentrum der Kappe das Molekül durch aktiven Transport weiterhin zugeführt, und der Verlust an Cdc42 wieder ausgeglichen. Wir kennen den genauen Mechanismus noch nicht, konnten aber trotzdem mit Hilfe unseres Modells nachweisen, dass die Zellen ihre Kappen auf diesem Weg mit fast maximaler räumlicher Präzision abgrenzen können.“

Insgesamt konnten die Wissenschaftler zeigen, dass ein Gleichgewicht aus Diffusion, aktivem Transport und Endozytose genügt, um den Vorgang der Polarisierung an der Zellmembran mit hoher Genauigkeit zu beschreiben. „Das von uns gewählte biologische Modellsystem ist relativ einfach und deshalb besonders gut zur Analyse geeignet“, meint Wedlich-Söldner. „So ist es uns auch gelungen, das Zusammenspiel dieser drei wichtigen Mechanismen erstmals auf Systemebene und mit Hilfe eines einzigen mathematischen Modells zu untersuchen und zu quantifizieren. Unsere Daten sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem besseren Verständnis dafür, wie biologische Systeme eine asymmetrische Verteilung von Molekülen in der Zellmembran dynamisch und sehr präzise erzeugen. Dabei gehen wir von einer fast universellen Gültigkeit unserer Ergebnisse aus: Die Hefezellen waren in diesem Fall nur ein Modell für den abstrakten mathematischen Ansatz, und die von uns analysierten Mechanismen der kortikalen Polarität sind zudem aus einer Vielzahl von Organismen, vom Einzeller bis zu höheren Tieren, bekannt.“ (SW)

Originalveröffentlichung:

Eugenio Marco, Roland Wedlich-Söldner, Rong Li, Steven J. Altschuler, und Lani F. Wu: Endocytosis Optimizes the Dynamic Localization of Membrane Proteins that Regulate Cortical Polarity. Cell 129, 411-422, April 20, 2007.

Kontakt:

Dr. Roland Wedlich-Söldner

Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried

Tel.: +49 89 8578-3410

E-Mail: wedlich@biochem.mpg.de

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