Hirn auf Chip - Nervengewebe an Computerchip gekoppelt

29. Mai 2006

Erstmalig ist es Wissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München gelungen, lebendes Hirngewebe mit einem Halbleiterchip zu verbinden, der in seiner Technologie den Chips in Computern entspricht. Die Wissenschaftler um Peter Fromherz berichten dazu in der Internetausgabe der amerikanischen Zeitschrift Journal of Neurophysiology (10. Mai 2006).

Informationen, die das Gehirn von Säugetieren aufnimmt, werden zunächst in der Hippokampus*-Region zwischengespeichert, bevor sie in anderen Gehirnregionen dauerhaft gespeichert werden. Das Verständnis der Arbeitsweise des Hippokampus als wichtigem Teil unseres Gedächtnisses ist deshalb auch Gegenstand aktueller Hirnforschung. In hauchdünnen Schnitten dieser Gehirnregion können Neurowissenschaftler die intakten Verbindungen zwischen den Nervenzellen des Hippokampus studieren.

Die bislang in der Neurophysiologie angewandten Methoden sind invasiv, auf einige wenige Zellen beschränkt oder von geringer räumlicher Auflösung. Die Martinsrieder Wissenschaftler sind jetzt weltweit die Ersten, denen es gelungen ist, die Kommunikation zwischen Tausenden von Nervenzellen im Gewebe-Verbund des Hirnschnitts ohne invasives Vorgehen und in hoher räumlicher Auflösung zu beobachten. Dabei kultivierten die Forscher dünne Schnitte der Hippokampus-Region von Rattenhirnen direkt auf speziellen Halbleiterchips. Die Chips, die gemeinsam mit Infineon Technologies AG entwickelt wurden, besitzen 16.384 Sensortransistoren auf einer Fläche von nur einem Quadratmillimeter. Mit ihrer Hilfe konnte die Reizleitung zwischen Nervenzellen im Hirngewebe direkt elektrisch abgebildet werden. Das jetzt mögliche Registrieren von Aktivitätsmustern eines ganzen Zellverbands aus dem Hirngewebe eines Säugetiers ist sensationell. Die Biophysiker um Peter Fromherz konnten durch Aufzeichnung veränderter Aktivitätsmuster auch die Wirkung von Pharmaka auf Nerven Reaktionen sichtbar machen. Damit ist der „Hirn-Chip“ aus Martinsried ein völlig neues Testsystem für die Hirn- und Pharma-Forschung.

Bereits 1991 gelang es Peter Fromherz und seinen Mitarbeitern, einzelne Nervenzellen von Blutegeln auf Halbleiterchips zu kultivieren und ihre elektrische Erregung zu registrieren. In den folgenden Jahren konnten Verbünde von Nervenzellen der Schlammschnecke untersucht werden. Dabei wurde nicht nur die elektrische Aktivität der Zellen und die Erregungsübertragung zwischen den Zellen über Synapsen registriert, sondern es gelang auch die Stimulation der Aktivität vom Chip aus. Die Biophysiker entwickeln die Chips selbst und stellen sie gewöhnlich in ihrem eigenen Reinraum auch selbst her. Die Produktion des nun vorgestellten Neurochips benötigt jedoch spezielle Fertigungstechniken und war deshalb erst durch die Zusammenarbeit mit einem industriellen Partner möglich. Mit ihrem neuartigen Hybridsystem aus Hirngewebe und Halbleiter sind die Wissenschaftler einen weiteren großen Schritt in Richtung auf Neurochip-Prothesen und Neurocomputer gegangen.

Originalpublikation:

M. Hutzler, A. Lambacher, B. Eversmann, M. Jenkner, R. Thewes, and P. Fromherz: Highresolution multi-transistor array recording of electrical field potentials in cultured brain slices. Journal of Neuropyhsiology. Vorabpublikation im Internet (10. Mai 2006). doi:10.1152/jn.00347.2006

Kontakt:

Prof. Dr. Peter Fromherz

Abteilung Membran- und Neurophysik

Max-Planck-Institut für Biochemie

Am Klopferspitz 18, 82152 Martinsried

Tel. 089-8578-2820

fromherz@biochem.mpg.de

Öffentlichkeitsarbeit der Abteilung:

Dr. Marlon Hinner

Abteilung Membran- und Neurophysik

Max-Planck-Institut für Biochemie

Am Klopferspitz 18, 82152 Martinsried

Tel. 089-8578-2870

mnphysik@biochem.mpg.de

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