Vater der molekularen Genetik gestorben

25. April 2005

Professor Wolfram Zillig, Emeritus-Direktor des Max-Planck-Instituts (MPI) für Biochemie in Martinsried, ist am 23. April verstorben. Seinen 80. Geburtstag, Ende Mai, wollten die ehemaligen Schüler und Kollegen mit einem Symposium Anfang Juni feiern. Jetzt wird es ein Gedenksymposium werden.

Wolfram Zillig war ein Vater der molekularen Genetik. Zu Beginn seiner Forscherkarriere arbeitete er an dem Tabak-Mosaik-Virus. Es gelang ihm zu zeigen, dass bei der Infektion von Tabakblättern nur das Erbgut des Virus, die Ribonukleinsäure, in die Zellen eindringt. Dazu entwickelte er wichtige Methoden, insbesondere die so genannte „Phenolmethode“ zur Reindarstellung von Nukleinsäuren, eine Methode, die zur täglichen Praxis molekulargenetisch arbeitender Labors in der ganzen Welt gehört. Seine Studien zur Genexpression, der Umsetzung der genetischen Information zur Bildung von Proteinen, brachten entscheidende Entdeckungen, auf die die moderne Molekularbiologie aufbaut. Er etablierte ein in vitro Protein-Biosynthese- System aus dem Bakterium E.coli, in dem er die vielen beteiligten Komponenten einzeln charakterisieren konnte. Besonders intensiv bearbeitete er die RNA-Polymerase, ein Schlüsselenzym der Genexpression. Das waren Meilensteine der Molekularbiologie der sechziger Jahre.

Ab den siebziger Jahren war er fasziniert von dem neu entdeckten Urreich der Lebewesen, den Archaea. Diese einzelligen Organismen bilden neben Bakterien und Eukarionten (Organismen mit Zellkern) eine dritte Art des Lebens. Sie besiedeln vor allem Standorte mit extremen Lebensbedingungen, wie etwa siedend heiße Quellen oder Habitate mit extrem hohen Salzgehalt. Bei Forschungsreisen in vulkanische Gebiete gelang ihm die Isolierung einer Reihe hochinteressanter thermophiler Organismen, die jetzt in vielen Instituten weiter bearbeitet werden. Durch die Charakterisierung der Archaea, besonders durch den Vergleich der Struktur der RNA Polymerasen der einzelnen Archaea, konnte Zillig elementare Kenntnisse zur Entwicklung und den Verwandtschaftsbeziehungen der urtümlichen Einzeller beitragen. Es wurde auch gezeigt, dass eine große Ähnlichkeit der Genexpression bei Archaea und Eukarionten existiert, während Stoffwechselgene der Eukarionten mehr den bakteriellen Genen entsprechen. Zillig formulierte aus diesen Ergebnissen die Hypothese, dass die Eukarionten durch eine Fusion von Bakterien und Archaea entstanden sind.

Das Geheimnis seines Forschungserfolgs lag vor allem darin, dass Wolfram Zillig mikrobiologische Forschung mit Molekularbiologie kombinierte. Er verband zur Lösung von Fragestellungen die beiden Forschungsdisziplinen; eine in der modernen Wissenschaft sehr fruchtbaren Arbeitsform, die jedoch heute oft nur noch durch die Kooperation von Wissenschaftlern aus verschiedenen Forschungsrichtungen möglich ist.

Wolfram Zillig war ein Schüler Adolf Butenandts, bei dem er ab 1949 seine Diplomarbeit und Doktorarbeit über das Verpuppungshormon des echten Seidenspinners am MPI für Biochemie in Tübingen schrieb. Ab 1952 war er dann als Wissenschaftlicher Assistent in der Abteilung Virusforschung am MPI für Biochemie tätig. Während eines einhalbjährigen Forschungsaufenthalts in Madison widmete er sich der Östrogen-Forschung. 1956 übernahm er als Wissenschaftlicher Assistent die Leitung einer Forschungsgruppe im MPI für Biochemie, das ab 1956 nach München umgezogen war. Nach seiner Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde Wolfram Zillig Wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft und 1972 zum Direktor der Abteilung „Molekulare Biologie der Genwirkungen“ berufen. Auch nach seiner Emeritierung arbeitete er noch bis zu seiner schweren Erkrankung wissenschaftlich im Labor.

Wolfram Zillig war ein außerordentlich geschätzter Wissenschaftler am MPI für Biochemie. Seine direkte, unkomplizierte und aufrechte Art im Umgang mit den Mitarbeitern, sein bescheidenes Auftreten und sein persönliches Interesse an den Problemen der Menschen in seiner Umgebung sorgten für eine harmonische Stimmung in seiner Abteilung. Zahlreiche Doktoranden wurden bei ihm zu Forschern ausgebildet und kaum ein „Archaea-Labor“ auf der Welt hat nicht einen Mitarbeiter aus der „Zillig-Schule“ oder enge Kooperation mit diesen. Auch nach seiner Emeritierung hat er weiterhin Forschungsprojekte durchgeführt, die oft mit Forschungsreisen verbunden waren. So weilte er noch im Jahre 2000 als 75 Jähriger auf einem Forschungsaufenthalt am Meeresforschungsinstitut in Brest, wo er einen Tiefsee-Tauchgang mit einer Tauchkapsel durchführte. Seine Sportlichkeit war für seine Mitarbeiter bei den beliebten Betriebsausflügen in die Berge oder beim Wildwasserfahren oft eine Herausforderung.

Seine Mitarbeiter und Kollegen schätzen ihn für seine unbedingte Aufrichtigkeit, sein hohes Engagement und die Fähigkeit andere zu begeistern und die kompromisslose Schärfe im wissenschaftlichen Denken. Mit dieser Haltung war er für alle seine Schüler und Kollegen ein prägendes Vorbild.

Eva-Maria Diehl, Öffentlichkeitsarbeit, MPI für Biochemie

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