Das Proteom einzelner Zellen im Gewebekontext

Forschende um Matthias Mann am Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie entwickelten einen neuen Ansatz der Proteomik, der die lang ersehnte Einzelzellauflösung auf intaktem Gewebe ermöglicht.

2. Oktober 2023

Wie auch Menschen und Tiere, die ihre Ernährung oder ihr Verhalten an gegebene Umweltbedingungen anpassen, hängt auch die Funktion und Proteinzusammensetzung einzelner Zellen davon ab, welche Ressourcen in ihrer unmittelbaren Umgebung zur Verfügung stehen. Durch einen neuen Ansatz des Forschungsteams um Matthias Mann, Direktor am MPI für Biochemie, ist es nun erstmals möglich diese Proteinzusammensetzung mit Blick auf die Umgebung einzelner Zellen zu analysieren. Durch die Kombination zweier neuer Methoden der Forschungsabteilung gelang es ihnen, das Proteom einzelner Zellen funktionell mit hoher räumlicher Auflösung zu erfassen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Methods publiziert.

Gewebe bestehen aus vielen verschiedenen Zelltypen, die jeweils spezifische Funktionen in unserem Körper erfüllen. Auch innerhalb einer solchen Zelltypkategorie hängt die Funktion jeder einzelnen Zelle jedoch davon ab, in welcher Umgebung sie sich befindet, also beispielsweise ob sich Blutgefäße in ihrer Nähe befinden, oder welche anderen Zellen um sie herum sind. Gibt es viele nutzbare Nährstoffe? Wie viel Sauerstoff steht der Zelle zur Verfügung? Welche hormonellen Signale wirken auf sie ein?

Dieser Zusammenhang zwischen Funktion und Ort ist in der Leber besonders ausgeprägt. Die Leber, als das zentrale Stoffwechselorgan des Körpers, besteht zu 85% aus einem Zelltyp, den sogenannten Hepatozyten. Diese Zellen erfüllen diverse Aufgaben des Stoffwechsels in unserem Körper, wie zum Beispiel die Speicherung von Glukose oder auch die Entgiftung unseres Blutes. Bei diesen Stoffwechelprozessen sind die jeweiligen Proteine innerhalb der Zellen von entscheidender Bedeutung. Bislang war es allerdings noch nicht möglich, das Proteom einzelner Leberzellen mit Blick auf die direkte Umgebung der Zellen zu messen und darzustellen.

Deep Visual Proteomics – eine revolutionäre Methode wird weiterentwickelt

Forscher*innen gelang es nun, diese Lücke mit einem technologischen Meilenstein zu schließen. Das Team um Matthias Mann, Direktor am MPI für Biochemie, entwickelte 2022 die Methode Deep Visual Proteomics, um das Proteom verschiedener Zelltypen zu bestimmen. Während der Analyse mit Deep Visual Proteomics werden nach der Entnahme einer Gewebeprobe Zellen eines Typs identifiziert, extrahiert und in bestimmte Gruppen sortiert. Anschließend werden sie mittels Massenspektrometrie auf ihre Proteinzusammensetzung hin analysiert.

„In unserer neuen Studie haben wir zwei Welten zusammengebracht. Wir haben die sogenannte Single-Cell Proteomics mit der räumlichen Auflösung von Deep Visual Protemics kombiniert und so einen neuen Ansatz für die Einzelzellproteomik mit räumlicher Auflösung geschaffen. Der neue Ansatz, Single-Cell Deep Visual Proteomics, erlaubt uns nun zum ersten Mal, mehr als zweitausend verschiedene Proteine einzelner Zellen in intaktem Gewebe und damit auch mit räumlicher Auflösung messen zu können“, erklärt Florian Rosenberger, Erstautor der aktuellen Studie. „Damit sind wir nun in der Lage, hunderte Stoffwechselwege genau zu lokalisieren“, so Rosenberger weiter. Hieraus können nun Proteinlandkarten erstellt werden, die dabei helfen, die Mechanismen von Gesundheit und Krankheit besser zu verstehen.

Durch die Kombination der beiden bestehenden Methoden konnten die Autor*innen auch aufzeigen, dass benachbarte Zellen teils enorme funktionelle Unterschiede aufweisen. Bislang konnten solche Unterschiede nur für einige wenige Proteine gezeigt werden. Dieser neue Ansatz, der im Journal Nature Methods publiziert wurde, ebnet damit den Weg dafür komplexe Gewebe, wie Tumore, besser zu verstehen. Damit können nun auch einzelne Zellen und die Mechanismen identifiziert werden, die beispielsweise zu Resistenzen in Krebstherapien führen.

"Wir erreichen ein historisches Neuland mit der ersten Einzelzell-Proteomik-Analyse die direkt im Gewebekontext durchgeführt werden kann und der Erkenntnis, dass dieselben Zelltypen tatsächlich ganz unterschiedliche Tätigkeiten ausführen, abhängig davon, wo sie sich befinden. Wir sind davon überzeugt, dass wir bereits in wenigen Jahren fast das komplette Proteom einer Zelle, mit mehr als 10 000 Proteinen in nur wenigen Minuten, messen können“, sagt Matthias Mann abschließend.

[tb]

Wörterbuch der Abteilung Proteomics und Signaltransduktion

Proteom: Das Proteom umfasst die Gesamtheit aller Proteine in einem Lebewesen, einem Gewebe oder einer Zelle zu einem bestimmten Zeitpunkt. Das Proteom ist hoch dynamisch und reagiert auf die Anforderungen der Zelle, sowie auf Krankheiten oder Umwelteinflüsse.

Proteomik: Die Proteomik ist die Erforschung des Proteoms.

Massenspektrometrie: Die Massenspektrometrie ist eine Methode zur Ermittlung der Masse und Häufigkeit geladener Teilchen.

Deep Visual Proteomics: Deep Visual Proteomics, oder kurz DVP, ist eine Methode die 2022 in der Forschungsabteilung von Matthias Mann entwickelt wurde. Die Methode kombiniert moderne Mikroskopie, maschinelles Lernen, Lasermikrodissektion und ultra-sensitive Massenspektrometrie mit nachfolgenden bioinformatischen Analysen.

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