Neue Strukturdaten zu Talin erklären Selbsthemmungs-Mechanismus

Mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie haben Forscher am Max-Planck-Institut für Biochemie die komplette Struktur des Talin-Proteins entschlüsselt. So kann jetzt der Selbsthemmungs-Mechanismus des Proteins erklärt werden.

19. September 2019

• Fehlfunktionen der Zellanhaftung spielen bei Krebserkrankungen und bei Immunreaktionen eine zentrale Rolle
• Talin ist eines der zentralen Proteine in der Maschinerie der Zellanhaftung
• Mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie wurde die komplette Struktur des Talins entschlüsselt
• Der Regulation Mechanismus des Proteins kann jetzt erklären werden

Ein komplexer Organismus ist aus Zellen aufgebaut, welche untereinander oder mit Strukturen in Zwischenzellräumen in Kontakt stehen. Damit Zellen mit der Umgebung physischen Kontakt aufnehmen können, besitzen sie an ihrer Zelloberfläche punktuelle Kontaktstellen. Hierbei handelt es sich aber nicht um statische, sondern um dynamische Verbindungen. Besonders bei Zellwanderungen während der Zellentwicklung, bei Immunreaktionen und der Blutgerinnung muss ein fein regulierter Anheftungs- und Ablösungsprozess gewährleistet sein. Deshalb bestehen die Kontaktstellen aus einer ganzen Maschinerie von Proteinen.

In der Zellanhaftungsmaschinerie sind Talin und Integrin zwei zentrale Proteine, an denen in den letzten Jahren schon viel geforscht wurde. Gemeinsam mit ihrem Team hat Naoko Mizuno, Leiterin der Forschungsgruppe „Zellulärer Membrantransport“ am Max-Planck-Institut für Biochemie jetzt die Struktur und den Regulationsmechanismus des Proteins Talin mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie gelöst. „Obwohl Talin als Schlüsselprotein der Zellmigration bekannt ist, gab es noch viele offene Fragen zur Regulation, da die Architektur des gesamten Moleküls unbekannt war“, so Mizuno.

Dirk Dedden, Erstautor der Studie erzählt: „Wir haben uns auf die Analyse des gesamten Proteins konzentriert. Mithilfe verschiedener moderner biophysikalischer Methoden haben wir herausgefunden, welche Umgebungsbedingungen dazu führen, dass sich der Zustand des Proteins reversibel ändert.“ Dank kontrollierbarer Laborbedingungen konnten die Forscher jetzt die exakte molekulare Struktur per Kryo-Elektronenmikroskopie bestimmten.

Talin, wie eine mechanische Feder, ist in seiner inaktiven Form kugelförmig und in seinem aktiven Zustand länglich. Jetzt konnten die Forscher zeigen, welche Bereiche des Talins in ihrem kugelförmigen, selbsthemmenden Zustand für die Umgebung nicht zugänglich sind. Das bedeutet,  dass Nachbarproteine nicht mit dem Molekül interagieren können und die Zelle selbst nicht an umliegendes Gewebe anhaften kann. In seiner lägnlichen, aktiven Form dient das Molekül als Bindungsplattform für viele Nachbarproteine was zudem die Anhaftung der Zelle an die Umgebungstsrukturen fördert.

Naoko Mizuno erklärt: „Unsere Ergebnisse haben hoffentlich langfristig auch einen medizinischen Nutzen, denn besonders bei Krebserkrankungen funktioniert der Zellanhaftungsprozess nicht mehr richtig. Talin ist als Aktivator von Integrin bekannt und Integrin ist ein bekanntes Zielprotein für die Wirkstoffe bestimmter Krebsmedikamente. Wir wünschen uns, dass das Verständnis der Regulation des Anhaftungsmechanismus hilft Krankheitsprozesse zu verstehen und neue Therapien zu entwickeln“.



Originalpublikation
D. Dedden, S. Schumacher, C. F. Kelley, M. Zacharias, C. Biertümpfel, R. Fässler, N. Mizuno: The architecture of talin1 reveals an autoinhibition 1 mechanism. Cell, September 2019
https://doi.org/10.1016/j.cell.2019.08.034

Über Naoko Mizuno
Naoko Mizuno studierte Biophysik an der Universität Tokio in Japan und promovierte 2005 am University of Texas Southwestern Medical Center in den USA. Nach ihrer postdoktoralen Arbeit war sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Labor für Strukturbiologie der National Institutes of Health in den USA tätig. Seit 2013 ist Mizuno Gruppenleiterin am MPIB. Sie hat zahlreiche Preise und Forschungsförderungen erhalten, darunter den EMBO Young Investigators Preis und einen Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC).

Über das Max-Planck-Institut für Biochemie
Das Max-Planck-Institut für Biochemie (MPIB) in Martinsried bei München zählt zu den führenden internationalen Forschungseinrichtungen auf den Gebieten der Biochemie, Zell- und Strukturbiologie sowie der biomedizinischen Forschung und ist mit rund 35 wissenschaftlichen Abteilungen und Forschungsgruppen und ungefähr 800 Mitarbeitern eines der größten Institute der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. Das MPIB befindet sich auf dem Life-Science-Campus Martinsried in direkter Nachbarschaft zu dem Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Instituten der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Innovations- und Gründerzentrum Biotechnologie (IZB). http://biochem.mpg.de

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