Ein krisenfester Leibwächter für junge RNAs

18. September 2015
RNAs gehören zu den wichtigsten Molekülen in der Zelle. Sie übermitteln genetische Information als Bauanleitung für Proteine und übernehmen andere essentielle Aufgaben. Dafür durchlaufen sie oft eine mehrstufige Prozessierung, bei der sie vor einem vorzeitigen Abbau geschützt werden müssen. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut (MPI) für Biochemie in Martinsried konnten jetzt einen neuen Mechanismus nachweisen, der bestimmte RNAs stabilisiert und ihre Verarbeitung dirigiert. „Der molekulare Komplex um das von uns neu entdeckte Protein NCBP3 kommt vor allem bei zellulären Stresssituationen wie Infektionen mit Viren  zum Einsatz“, erklärt Andreas Pichlmair, Forschungsgruppenleiter am MPI für Biochemie. „Unsere Erkenntnisse könnten in Zukunft neue Therapiewege eröffnen.“ Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt in Nature Communications veröffentlicht.

Wer nicht spurt, wird zerlegt: Fehlerhafte Moleküle müssen abgebaut werden, bevor sie der Zelle schaden können. Damit nicht auch neu entstehende und damit noch funktionslose RNA-Moleküle unter die Räder kommen, werden sie bereits während ihrer Synthese mit einer molekularen „Kappe“ als Schutz versehen. So ist das gefährdete Ende des Moleküls maskiert und die zelluläre Müllabfuhr greift nicht an.

An diese Kappe bindet ein „cap binding complex“ (CBC), der stabilisiert und weitere Aufgaben erfüllt: Der CBC steuert die Prozessierung der RNA-Moleküle, wozu etwa die Entfernung unnötiger Abschnitte gehört. Ein wichtiger Schritt ist bei den sogenannten mRNAs, die die genetische Information übertragen, der Export aus dem Zellkern. Nur außerhalb des Zellkerns im Zellinnern können sie als Bauanleitung für Proteine dienen.

Nach vorherrschender Meinung besteht der CBC ausnahmslos aus zwei verschiedenen „nuclear cap binding proteins“ (NCBP1 und 2), die sich im Tandem an das kappentragende Ende der betreffenden RNA heften. Dementsprechend sollten beide NCBPs für Prozesse wie den mRNA-Export aus dem Zellkern essentiell sein. Wie die aktuelle Studie zeigt, schränkt ein Verlust von NCBP2 aber weder diesen Vorgang noch die Lebensfähigkeit der Zelle ein.

„Dafür konnten wir eine andere Komponente identifizieren, die in Verbindung mit NCBP1 auftritt, die wir NCBP3 nannten“, sagt Andreas Pichlmair. Dieses Protein kommt bei den meisten höheren Organismen vor und ist in seiner Struktur hoch konserviert, also wenig variiert - was eine essentielle Funktion vermuten lässt.

Die konventionelle Kappe mit NCBP2 ist vor allem mit mRNAs und kleineren RNAs assoziiert. Der neu gefundene Komplex tritt dagegen nur bei mRNAs auf, die einer intensiven Weiterverarbeitung bedürfen. Zudem ist er vor allem wichtig, wenn die Zelle gestresst ist – zum Beispiel bei viralen Infektionen. Eventuell könnte der CBC um NCBP3 auch eine Rolle in Erkrankungen spielen, bei denen die RNA-Prozessierung gestört ist. Die Forscher hoffen, dass die neu gewonnen Erkenntnisse auch neue Therapieansätze eröffnen.

Weitere Studien sollen nun zeigen, ob und in welcher Form NCBP3 an der Virenabwehr und Entstehung von Krankheiten beteiligt ist. Sicher ist schon jetzt, dass die Prozessierung von RNA-Molekülen und damit einer der zentralen Prozesse der Zelle weitaus komplexer ist als bisher angenommen und zudem über äußere Einflüsse gesteuert wird.

Originalpublikation
A. Gebhardt, M. Habjan, C. Benda, A. Meiler, D. Haas, M. Hein, A. Mann, M. Mann, B. Habermann and A. Pichlmair: NCBP3, a cap-binding protein involved in mRNA biogenesis. Nature Communications, September 18, 2015
DOI: 10.1038/ncomms9192

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