Zelluläres Gedränge

2. Juli 2018

Sind Sie jemals mitten in einer Menschenmenge stecken geblieben? Je enger die Menschen stehen, desto schwieriger wird es sich in der Menge fortzubewegen. Manchmal wird es so eng, dass Sie sich überhaupt nicht mehr bewegen können. Falls sich das unangenehm für Sie anhört, dann würden sie wahrscheinlich nicht innerhalb einer Zelle leben wollen, wo Proteine und andere Moleküle dicht gepackt vorliegen. Dieses dichte Gedränge, „Crowding” genannt, ist sehr wichtig für die Zelle — es bringt die Moleküle in Kontakt, so dass sie interagieren können und die chemischen Reaktionen ablaufen, die die Zelle zum Leben benötigt. Tatsächlich werden viele Erkrankungen durch Veränderungen im molekularen Crowding hervorgerufen, die ungewollte und schädliche Interaktionen zwischen Proteinen herbeiführen können. Trotz seiner Wichtigkeit bleibt es ein Rätsel wie dieses Crowding innerhalb der Zelle kontrolliert wird. Durch eine Kombination aus Methoden der Biophysik, Zellbiologie, physikalischen Prozessmodellierung und Kryoelektronentomographie hat ein internationales Team von Forschern an der New York University (NYU) und dem Max-Planck-Institut für Biochemie (MPIB) entdeckt, dass der mTORC1 Signalweg die Konzentration von Ribosomen in der Zelle kontrolliert. Dadurch wird das Crowding beeinflusst, sowie die Fähigkeit von Proteinen miteinander zu interagieren und phasen-getrennte Kompartimente zu bilden. Diese Studie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift Cell veröffentlicht.

GEMs werfen Licht aufs molekulare Crowding
Das Team um Liam Holt an der NYU School of Medicine fand eine clevere Strategie um das molekulare Crowding in der Zelle zu messen. Sie entwarfen winzige fluoreszierende Kugeln, die in der Zelle produziert werden, die sogenannten GEMs. Mittels Lichtmikroskopie konnten die Forscher die Bewegung der leuchtenden GEMs in der Zelle nachverfolgen und dadurch bestimmen wie schwierig es für die GEMs unter verschiedenen Bedingungen war sich durch die dichte zelluläre Umgebung zu bewegen. Das führte zu einer aufregenden Entdeckung – mTORC1, ein Proteinkomplex der für die Kontrolle des Zellwachstums zuständig ist, kontrolliert auch das Crowding in der Zelle. Als der mTORC1 Signalweg durch das Antibiotikum Rapamycin blockiert wurde, konnten sich die GEMS viel schneller durch die Zelle bewegen, ein klarer Hinweis auf verringertes Crowding.

Ribosomen verursachen das zelluläre Gedränge
Um diese Veränderungen im Crowding genauer zu untersuchen, hat das Forscherteam um Ben Engel am MPIB die natürliche zelluläre Umgebung mittels Kryoelektronentomografie abgebildet und analysiert. “Diese mächtige Methode erlaubt es uns prinzipiell jedes Molekül in der Zelle zu sehen,” erklärt Engel. “Das Innere der Zelle ist gefüllt mit kleinen Proteinfabriken, den Ribosomen, die wir mit unserer Methode mit sehr hoher Genauigkeit zählen können.” Als der mTORC1 Signalweg blockiert wurde, fiel die zelluläre Konzentration an Ribosomen auf etwa die Hälfte, was das molekulare Crowding in der Zelle dramatisch verringerte. Die Korrelation zwischen verringerter Ribosomenkonzentration und erhöhter Mobilität der GEMs zeigt, dass Ribosomen die Hauptursache für das Crowding in der Zelle sind.

Mischen oder Trennen?
Kürzlich wurde entdeckt, dass Zellen ihre Proteine zu phasenseparierten Tropfen verdichten können. Diese Tropfen können sich nicht ohne Weiteres mit ihrer Umgebung mischen, ähnlich wie sich einzelne Tropfen von Essig in einer Schüssel voller Öl bilden. Dieser Prozess, genannt Phasenseparation, erlaubt es biologischen Reaktion durch Aufkonzentrierung benötigter Moleküle auf kleinem Raum viel schneller und effizienter abzulaufen. Wenn Forscher Phasenseparation im Reagenzglas untersuchen wollen, müssen sie ein künstliches Crowding-Mittel hinzugeben, um die Separation einzuleiten. Bis heute war es unbekannt, wie das zelluläre Crowding verursacht wird, also was das zelluläre Crowding-Mittel ist. Holt und seine Kollegen haben herausgefunden, dass die Ribosomenkonzentration die Phasenseparation sowohl im Reagenzglas als auch in der Zelle stark beeinflusst. Daraus schlussfolgerten die Forscher, dass die durch mTORC1 kontrollierte Ribosomenkonzentration für die Zelle einen Weg darstellt die Phasenseparation zu beeinflussen.

Der Einfluss von Crowding auf zelluläre Krankheiten
Bis zu einem bestimmten Punkt verdichtet das Crowding wechselwirkende Proteine in phasenseparierte flüssige Tropfen. Falls Moleküle in der Zelle allerdings zu dicht gepackt werden, dann können diese Tropfen fest werden. Die aktuelle Studie legt nahe, dass ein fehlfunktionierender mTORC1 Signalweg das Crowding so stark erhöhen könnte, dass normalerweise phasenseparierte Tropfen fest werden und Aggregate bilden. Solch Aggregate finden sich in Zellen mit altersbedingten Krankheiten, wie z.B. Tau-Fasern, die sich im Gehirn von Alzheimer-Patienten bilden. Außerdem diente mTORC1 jahrzehntelang als Ziel von Krebstherapien, da Zellen über den mTORC1 Signalweg feststellen, ob ausreichend Energie für Zellwachstum und -teilung zur Verfügung steht. Diese Medikamente hatten nur eingeschränkten Erfolg, was laut Holt in Verbindung mit dem Crowding Effekt stehen könnte. In gewissen Fällen könnte mTORC1 Aktivierung zwar wichtig bei der Entstehung von Krebs sein, aber sobald sich in Krebszellen die Ribosomen zu dicht drängen, könnte mTORC1 das Krebswachstum eher hindern. Die aktuelle Arbeit könnte dabei helfen neue Richtlinien für die Anwendung von mTORC1 Inhibitoren für die Krebstherapie festzulegen. “Die biologischen Konsequenzen von Phasenübergängen sind momentan Fokus intensiver Forschung” sagt Holt. “Eines unserer Langzeitziele ist es, Therapien für neurodegenerative Krankheiten und Krebs zu entwickeln, die das molekulare Crowding in den Zellen der Patienten anpassen.”

Originalpublikation
S M. Delarue, G.P. Brittingham, S. Pfeffer, I.V. Surovtsev, S. Pinglay, K.J. Kennedy, M. Schaffer, J.I. Gutierrez, D. Sang, G. Poterewicz, J.K. Chung, J.M. Plitzko, J.T. Groves, C. Jacobs-Wagner, B.D. Engel & L.J. Holt. “mTORC1 controls phase separation and the biophysical properties of the cytoplasm by tuning crowding”. Cell, Juli 2018.
DOI: 10.1016/j.cell.2018.05.042

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